Ist Friede nur noch ein Wort?

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Ist Friede nur noch ein Wort?

Der Essener Publizist und Verleger Wolfgang Stammler hat sich anlässlich der Ostermärsche seine Gedanken darüber gemacht, weshalb immer weniger Menschen für den Frieden auf die Straße gehen.

   Der Ostermontag ist seit 1960 der Tag der Ostermarschierer. Waren es in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts noch einige Hunderttausende, die für den Frieden demonstrierten, machten sich diesmal nur mehrere Zehntausend auf den Weg. Immerhin. Es waren auch schon weniger.

   Doch die Zahl derer, die für den Frieden auf die Straße gehen, ihren Urlaub und die Freizeit opfern, schwindet. Für sie gilt, was der Wuppertaler Pfarrer Friedrich Wilhelm Krummacher bereits 1846 konstatierte: «Den Osterfrieden schmeckt ein kleines Häuflein nur.»

   Es scheint, als ob diese Ostermärsche inzwischen eher eine Demonstration  der Hilflosigkeit und Ratlosigkeit sind — was erstaunlich ist angesichts der Kriege, die  weltweit zugenommen haben und zugleich unüberschaubarer und brutaler geworden sind. Und noch erstaunlicher, wenn man an die anhaltende Kriegsrhetorik seitens der Großmächte und die täglich wachsende Bedrohung durch den Einsatz von Atomwaffen denkt. 

   Und die Gründe dafür? Rational sind sie kaum nachvollziehbar. Vielmehr scheint der Antrieb dazu in den persönlichen Eitelkeiten und Muskelspielen einzelner Despoten zu liegen, in nationalen Kraftmeiereien und unkontrollierbarer Machtgier von selbsternannten, narzisstisch pubertären Führern, für deren Größenwahn die eigenen Bürger verführt, belogen und — siehe Syrien — gegebenenfalls auch hingeschlachtet werden.
Was kann diese Verantwortungslosigkeit besser demonstrieren, als wenn ein Großpotentat mit einem Möchtegern-Großpotentat vor aller Weltöffentlichkeit darum streitet, wer den größeren Atomknopf besitzt. Sieht so das Ende der Aufklärung aus?

Vieles erinnert heute an die Zeiten, als Europa vor 500 Jahren von kleinen und großen Kriegen heimgesucht wurde und ein Papst in Rom, Julius II., diese auch noch anfeuerte, wenn nicht sogar selbst inszenierte. Damals gab es einen  einsamen Rufer in der Wüste: Erasmus von Rotterdam, der bereits als junger Gelehrter in seiner ersten Schrift, «Über Frieden und Zwietracht» (1489), gegen den Wahnsinn des Krieges seine Stimme erhob, ein Anliegen, das ihn zeit seines Lebens beschäftigte. So schrieb er 1517 in seiner «Klage des Friedens», seiner wohl bekanntesten Antikriegsschrift:

«

   "Für den Frieden ist schon viel gewonnen, wenn man ihn aus ganzem Herzen will. Denn wem der Friede wirklich am Herzen liegt, der wird jede Gelegenheit ergreifen, ihn zu stiften: Was ihm im Weg steht, kümmert ihn nicht oder räumt er aus und ist bereit, viel zu erdulden, um dieses hohe Gut unversehrt zu erhalten.    Jetzt aber sucht man sich Brutstätten des Krieges zu schaffen: Was der Eintracht dient, wertet man ab oder verleugnet es gar, was Kriegszwecken dient, wird maßlos aufgebauscht und verschlimmert. Man schämt sich zu sagen, aus welch nichtigen Anlässen man große Tragödien inszeniert und aus welch winzigen Fünkchen die Welt in Brand gesetzt wird – da erinnert man sich an jene Unzahl von Kränkungen und jeder vergrößert die ihm angetane Schmach. Was aber gut war, ist unterdessen völlig vergessen, und du möchtest schwören, alles trachte nach Krieg.»

   Was also tun? Vielleicht hilft es, sich daran zu erinnern, was Gustav Heinemann vor knapp 50 Jahren in seiner Antrittsrede als Bundespräsident den Deutschen eingeschärft hat:

   «Nicht der Krieg […], sondern der Friede ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben.» Denn wie Hans Maier, der ehemalige bayrische Kultusminister, jüngst in einem Aufsatz schrieb: «Friede ist kein Naturprodukt. Er muss von Menschen geschaffen, ‹gestiftet‹ werden». Da hört man Erasmus.

   Der Frieden braucht mehr als nur Menschen, die ihn nur lieben. Er braucht Menschen, die ihn machen: pacem facere, Pazifist sein im wörtlichen Sinn. Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Und er erwächst auch nicht aus dem Großen, sondern aus dem Kleinen. Genau wie der Krieg. «Der Krieg wird aus dem Krieg erzeugt. Aus einem winzigen entsteht ein großer, und bald wird jedem klar werden, was für ein Wahnsinn es ist, mit so viel Lärm und Tumult, so vielen Strapazen, so großen Kosten, unter höchster Gefahr und so vielen Verlusten einen Krieg zu führen, obwohl um ein viel Geringeres der Frieden erkauft werden könnte».
So Erasmus in «Süß ist der Krieg den Unerfahrenen» (1515).

   Dasselbe könnte man umgekehrt auch über den Frieden sagen. Denn wie der Krieg aus dem Krieg erzeugt wird, so wird der Frieden aus dem Frieden erzeugt und aus dem winzigsten entsteht ein großer — sofern man ihn von ganzem Herzen will …

   Wo also anfangen? Bei sich, im Kleinen. Und nicht nur zu Ostern, sondern tagtäglich, indem man Gesicht zeigt, ein friedliches, ehrliches. Ostern wäre also jeden Tag. Auch für die, die nicht an Ostern, sondern an den Frieden glauben. Am besten an einen Frieden, wie ihn die Indianer der Mohawk beschreiben:

   «Friede ist nicht nur das Gegenteil von Krieg, nicht nur ein Zeitraum zwischen zwei Kriegen, Friede ist mehr. Friede ist das Gesetz menschlichen Lebens. Friede ist dann, wenn wir recht handeln und wenn zwischen jedem einzelnen Menschen und jedem Volk Gerechtigkeit herrscht.»

 

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