Die Tür zum Vergnügen Empfehlung
- geschrieben von -uss
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Wie ein Deus ex machina schwebt am Ende Regisseur Herbert Fritsch vom Bühnenhimmel des Stuttgarter Schauspielhauses punktgenau hinein in eine Mülltonne, um die sich das schrille Ensemble versammelt hat.
Ein selbstironischer Kommentar für seine Inszenierung von „Das Portal“ aus der Feder Nis-Momme Stockmanns? „Richtig deppert sein ist eine hohe geistige Leistung“ behauptet Fritsch. Er muss es wissen. Stand er doch selbst schon auf der Bühne, unter anderem in Stuttgart (schon lange her), bevor er sich ans Inszenieren gewagt hat. Mit ebenso großem Erfolg wie mit seiner Schauspielkunst. Bei einem wie ihm ist ein Autor wie Stockmann in besten Händen. Der vielfach mit Preisen dekorierte Schriftsteller und Regisseur aus Deutschlands höchstem Norden hat diese „Tour de Farce“ als Auftragsarbeit für die Theatermacher in der schwäbischen Metropole verfasst. Ein irrer und dennoch höchst präziser Blick auf das Geschehen hinter der Bühne. Also auf das wahre Leben. Effektvoll knallbunt überzeichnet natürlich und nach Fritschs Art musikalisch rhythmisiert. So viel Spaß muss sein.
Ein Provinzintendant, der mit einer grandiosen Inszenierung die Auslastung seines Theaters im Hochsauerland wieder auf 100 Prozent bringen und damit seinen Hals retten möchte. Sein Widersacher, der Chefdramaturg, hat das Gegenteil im Sinn, damit er seinen Chef beerben kann. Das Stück „Das Portal“, geschrieben von einem jungen, eher unbekannten Autor, inszeniert von einem jungen und schon erfolgreichen Regisseur, soll der Türöffner werden. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern das Gegenteil. Lustvoll werden alle Klischees durch den Fleischwolf gedreht; die Eifersüchteleien, die Machtspielchen, das Speichellecken, plumpe Anmache, Lug und Trug.
Stockmann eröffnet sein Stück mit einem Schillerzitat: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Fortan menschelt es auf der ebenfalls vom Regisseur mit einem Flügel und farbigen geometrischen Formen sparsam eingerichteten Bühne gewaltig. Angefangen ganz oben beim Intendanten mit dem griffigen Namen Elias Geldoff. Wie Sebastian Blomberg ihn tänzelnd-schreitend aus dem Bühnendunkel nach vorne bringt, ihn später immer wieder als mahnendes Gewissen vorüberhuschen lässt, ist das komplette Alphabet der Körpersprache; dazu spricht er noch distinguiert, doch im Bewusstsein seiner Macht. Ein schauspielerisches Kabinettstückchen. Später wird er sich mit dem Chefdramaturgen Ivan Eisenstern (wer assoziiert da nicht „Iwan, der Schreckliche“) ein umwerfend komisches Augenduell liefern, bei dem der düstere Intrigant des Sebastian Röhrle den Kürzeren zieht. Celina Rongen zeichnet die zum Vorsprechen eingetroffene Schauspielerin Henriette Ullmann als schräge, notorisch emanzipierte Tussi, bei der Dramaturg Friedenach (Peer Oscar Musinowski gibt ihn hibbelig übergriffig) so was von nicht andocken kann. Und dazwischen muss der Autor Ricardo Cornwald (Marco Massafra) zunehmend fassungslos erleben, wie Intendant und Chefdramaturg in ihrem persönlichen Duell sein Manuskript zur Unkenntlichkeit eindampfen und im Wortsinn enteignen. Im Heft zum Stück wird (sic!) E. M. Geldoff als „Co-Autor“ erwähnt.
Während Ivan Eisenstern (Sebastian Röhrle) den ohnmächtigen Autor per Herzmassage bearbeitet, freut sich Intendant Elias Geldoff (Sebastian Blomberg) über den Rest von dessen Manuskript. Im Hintergrund Inspizient Burko (Marietta Meguid).
Alle dürfen so richtig die Sau rauslassen, dürfen dem Affen Zucker geben bis zum Diabetes mellitus. Damit handelt sich die Inszenierung allerdings ein grundsätzliches Problem ein. Zu viel Klamauk tut der Satire nicht gut. Die Gags und vielfältigen Anspielungen drohen im Trubel zu verpuffen. Es blitzt und theaterdonnert gar heftig sintflutig. Aufs Stichwort flitzen mit Donnerblechen ausgestattete Komparsen über die Bühne. Ja, hier wird mit offenen Karten gespielt, nichts bleibt geheim. Das Haus, in sich schon eine Fehlkonstruktion wie das Publikum zuvor schon erfahren hat, zerbirst. Geldoff sucht in einer durch eine Perücke determinierten Doppelrolle harschen Rat bei seiner Referentin Irma. Nochmals ein großes Solo für Sebastian Blomberg, bevor der von allen guten Geistern verlassene Intendant seine letzte Hoffnung ausgerechnet in ein Geistwesen setzt. Die „Fresserin“ (Reinhard Mahlberg) mit ihren grünen Tentakeln erweist sich indes auch nur als ein Haufen Elend.
Ganz prosaisch bringt zum Schluss eine Postbotin (Charlie Casanova, die auch noch den Flügel mit Händen und Hintern virtuos bedient) ein leicht ramponiertes Paket auf die Bühne. Es enthält einen offensichtlich gewaltig stinkenden Laib Käse, abgeschickt von dem in Puerto de la Cruz urlaubendem Chefdramaturgen Alfonso E. Hugendubel. Der abschließende Kommentar zum Stück? Herbert Fritsch jedenfalls treibt mit diesem finalen Gag seine kesse Selbstironie auf die Spitze. Das Premierenpublikum dieser Uraufführung dankt mit freundlich zugewandtem Beifall. Den Applaus darf sich das Ensemble, nochmals seine speziellen Körperhaltungen vorstellend, ganz allein abholen. Während der Regisseur im Hintergrund in seiner Mülltonne verharrt wie Nagg und Nell in Becketts absurdem „Endspiel“. Sein „Portal“ ist nicht der Durchgang zum Untergang, sondern zu Schiller. Diese Menschen schaut man sich gerne an.
Info: Weitere Aufführungen am Dienstag, 23. und 30. Januar sowie am Freitag, 9. Februar; jeweils 19.30 Uhr; Karten über www.schauspiel-stuttgart.de
Wolfgang Nußbaumer
(21.01.2024)