Von einem, der getreten wird Empfehlung
- geschrieben von -uss
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Der nachtschwarze Bühnenraum verheißt nichts Gutes. Das hoch aufragende Dunkel macht den Franz Woyzeck im Stuttgarter Schauspielhaus noch kleiner als er ohnehin schon ist. Eine Kreatur, der das Zerbrechen innewohnt.
Zino Wey hat in seiner Inszenierung, die schon im vierten Jahr auf dem Spielplan steht, Georg Büchners wegweisendes Dramenfragment auf die „Basics“ skelettiert. Ein kranker, fiebriger Woyzeck, der sich für ein paar Groschen als Versuchsobjekt verdingt, um sein uneheliches Kind und Marie ernähren zu können. Seine Geliebte, die gesellschaftlich nach oben blickt und darum den Avancen des grobschlächtigen Tambourmajors nachgibt. Der elegisch tuende, selbstgerechte Hauptmann und ein Doktor, für den der disparate Soldat nur als Opfer seiner pseudowissenschaftlichen Experimente interessant ist.
Für die Lieder, die bei Büchner seine Protagonisten anstimmen, ist bei Wey der bunt gekleidete „Idiot“ zuständig. Es dürfte sich um die Gestalt des Narrs Karl handeln, der in der Originalfassung erwähnt wird. Andres, Woyzecks Soldatenkamerad tritt noch auf und Margreth, die Nachbarin, quasi die soziale Kontrolle.
Diese auf 80 Minuten eingedampfte Inszenierung setzt voraus, dass das Publikum dieses Drama kennt. Dennoch bleiben einige Fragen offen. Warum zünden zu Beginn fünf Fastnachtswichtel ein Sternenfeuerwerk? Warum schieben die Mitwirkenden Holzkisten über die Bühne, an denen große Trichter befestigt sind? Lautsprecher oder Kanonen? Das Erbsenexperiment kommt wie der Blitz aus heiterem Himmel. Und weshalb fehlt der Jude? Vermutlich, weil der Regisseur das ganze übrige Büchnerpersonal als für seine Zwecke nicht sinnstiftend angesehen hat.
Ist dieser „Woyzeck“ also tatsächlich fleischlos akademisch? Nein. Und das liegt an der schauspielerischen Umsetzung. Von der ersten Sekunde an packend, wie Sylvana Krappatsch in intensivster Darstellung dieses arme Würstchen zittern und zappeln lässt, dem vermeintlich tumben Einfallspinsel hellsichtige Momente verleiht. Kein willenloses Tier, das menschliche Züge trägt, das Würde ausstrahlt trotz schlimmster Erniedrigung durch die Repräsentanten der herrschenden Klasse.
Während Marie (Paula Skorupa) sich noch der Avancen des Tambourmajors (Sebastian Röhrle) erwehrt, sieht sich Woyzeck (Sylvana Krappatsch) von allen guten Geistern verlassen. Margreth (Gabriele Hintermaier) beobachtet das Desaster amüsiert.
Bei Büchner ist der Tambourmajor ein eitler Gockel, bei Wey in massiver Gestalt von Sebastian Röhrle ein viriler, übler Macho. Matthias Lejas Hauptmann ist gefühllos selbstgefällig, seine eigene Festung. „Woyzeck, bist ‘n guter Mensch“, stellt er gönnerhaft fest. Auf Augenhöhe verkehrt er indes nur mit dem Doktor. Dass Felix Strobel für Sven Prietz kurzfristig eingesprungen ist, merkt man ihm nicht an; so souverän zeichnet er den Arzt mit arroganter menschenverachtender Überheblichkeit. Als sich er und der Hauptmann in einem Netz hinter dem von Davy van Gerven erdachten Vorhang aus bunten Lichterketten verheddern, der inzwischen vom Bühnenhimmel herabhängt, wird symbolisch deutlich, dass auch sie Gefangene ihres eigenen Systems sind. Die farbigen Lichter wiederum kontrastieren und verschärfen dadurch das nachtschwarze Geschehen.
Getreten und gedemütigt, richtet sich am Ende Woyzecks Zorn gegen seine Marie. Paula Skorupa ist mondän in Weiß gekleidet diese attraktive Frau. Sie hat sich der Zudringlichkeiten des Majors nicht erwehrt und zahlt jetzt die Zeche. Allerdings ersticht sie ihr Geliebter nicht, sondern erwürgt sie. Womit sich der Regisseur die Entsorgung des Messers erspart. Angesichts der Leiche stellt der Hauptmann lapidar fest: „Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord.“ Der Beifall gilt indes nicht dem Verbrechen, sondern einer fesselnden Ensembleleistung.
Wolfgang Nußbaumer
(15.12.2023)