Passion als dramatisches Musiktheater Empfehlung

Rot wie Blut leuchtet der Monolith über dem Trauerzug. Rot wie Blut leuchtet der Monolith über dem Trauerzug. Fotos: Matthias Baus

Wenn Ulrich Rasche inszeniert, kommt Bewegung ins Spiel. Der „Johannes-Passion“ angemessen, dreht sich die Bühne in der Staatsoper Stuttgart ganz langsam - aber stetig.

   Gemessenen Schrittes schreitet der das Mitspielen gewohnte Opernchor im Takt der Musik aus dem Orchestergraben über das Rund. Teilt sich den Ort mit den Solistinnen und Solisten und imposant schwebenden Leuchtkästen. In der Summe dramatisches Musiktheater. Um von ihm berührt und gefesselt zu werden, muss man kein Christ sein.

   Angesichts der monolithischen Leuchtkästen wäre man nicht überrascht, wenn statt des Bachschen Eingangschores „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss erklingen würde. Die Begleitmusik zur Entdeckung der rätselhaften Monolithen in Stanley Kubricks Science-Fiction-Epos „2001: Odyssee im Weltraum". Spezielle Symbolkraft entfaltet eines der Leuchtobjekte, wenn es in fahlem Licht hochragt mit dem Jesus-Darsteller Shigeo Ishino als Fußnote.

   Genug der Parallelen; es geht um den Passionsbericht des Evangelisten Johannes. Um Christi Leiden im Garten Gethsemane, vor den Hohepriestern, vor der Obrigkeit, am Kreuz und schließlich um sein Begräbnis. Üblicherweise erlebt man das Geschehen in einer konzertanten Aufführung. Hinten der Chor, vor ihm das Orchester und die Solisten. Eine zentrale Rolle spielt der Chor auch bei Rasche. Allerdings als szenische Manövriermasse.  In graue und schwarze Gewänder gekleidet, stehen sich dessen Mitglieder mal als Antipoden gegenüber, als Anhänger und Gegner von Christus, mal vereint zum tröstenden Choralgesang.

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   Mit den in verschiedenen Farben leuchtenden und auch als Projektionsflächen für sich ringende Hände dienenden Rechtecken im Kontrast bilden die Choristen die ideale Kulisse für das dramatische Geschehen, von dem der Evangelist berichtet. Mit seiner tragenden lyrischen Tenorstimme und der glasklaren Artikulation ist Moritz Kallenberg die ideale Besetzung. Kammersänger Shigeo Ishino gibt mit seinem voluminösen Bariton der Christusfigur Würde und Selbstbewusstsein in Demut. Andreas Wolf weiß als Petrus, vor allem jedoch als distanziert abwägender Pilatus zu überzeugen. Fanie Antonelou mit strahlendem Sopran und Alexandra Urquiola mit ihrem warmen Alt gewinnen als Jesu Gefolgschaft ebenso Sympathie wie der Tenor Charles Sy und der Bariton Elliott Carlton Hines.

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   Sie alle sind gut eingebunden in ein von Dirigent Diego Fasolis mit sicherem Gespür für den dramatischen Ablauf gestaltetes musikalisches Gerüst. Wie sie ihre Arien und Rezitative mit der unerbittlich sich drehenden Bühnenbewegung koordinieren, ist nur eines der Regiewunder dieser Aufführung. Ein noch Größeres ist die Sogwirkung dieser Drehbewegung auf das Publikum. Es kann sich als Teil des Geschehens fühlen, das vor seinen Augen erzählt wird.

   Der lang anhaltende Applaus indes gilt allein den handelnden Protagonisten dieses Abends auf der Bühne und im Orchestergraben. Wem er jedoch letztlich gebührt, macht der Dirigent mit einer noblen Geste deutlich. Er zeigt dem Publikum Bachs Partitur wie der Priester den Gläubigen die Heilige Schrift.

   Info: Die nächsten Aufführungen sind am Samstag, 22., Dienstag, 25., Samstag, 29. April. Karten unter Tel. 0711/202090 und www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan

 

Wolfgang Nußbaumer 

(20.04.23)

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