Schutz im weißen Sand – der Maucher-Keller Empfehlung

Karl-Josef Schneider führt durch den Maucher-Keller. Karl-Josef Schneider führt durch den Maucher-Keller. Fotos: -uss

Auf eine Länge von rund 260 Metern erstreckt sich das Stollensystem des Maucher-Kellers. Es führt entlang der Prahlstraße in Richtung Schloss ob Ellwangen.

Der einzige Einstieg befindet sich auf dem Grundstück von Josef Schneider. Unweit von einem mit seinem Pagodendach japanisch anmutenden Pavillon, der bereits um 1800 errichtet worden war. Ludwig Maucher hatte es 1932 als Bauland gekauft. 

    Könnte es sein, dass in seiner Entstehungszeit im 16. und 17. Jahrhundert hier nicht nur Stubensandstein zur Reinigung und Pflege von Holzfußböden abgebaut worden ist, sondern  auch vermummte Besucher im Schein von Kerzen durch die Gänge gehuscht sind. Vielleicht ein Fürstpropst? Unterwegs in geheimer Mission zu einem adretten Bürgerkind unten in der Stadt? 

   Karl-Josef Schneider lächelt über derlei erotische Spekulationen. Er kennt die Geschichte von dem Geheimgang, der vom Schloss herabgeführt haben soll. Der Sohn des jetzigen Besitzers hat den Keller seit seiner Kindheit wiederholt begangen. Außer verrosteten Gasmasken, Gewehrkolben, Stahlhelmen und anderen militärischen Utensilien hat er nichts gefunden. In die Stubensandsteinwände sind einige Hakenkreuze, SS-Runen und Werwolfzeichen eingeritzt und eingehauen; ein paar Meter weiter akkurat im weichen Sandstein „verewigt“ ein Steinmetzzeichen. Der 90 Jahre alte und immer noch agile Josef Schneider hat die Geschichte dokumentiert. Für ihn gibt es keine Anhaltspunkte für einen Verbindungsgang zum Schloss oder zur Stadt. „Eindeutiger Beweis“ sind für ihn die Pickelhiebe am Ende der Kellerwände. Weiter kann niemand vorgedrungen sein. 

    Im Februar 1945 sind die Stollen zu einem Luftschutzkeller ausgebaut worden. Da sie nur rund vier Meter Stein und Erde über sich haben, können sie gegen Granatenbeschuss Sicherheit geboten haben, nicht jedoch gegen Fliegerbomben. Dennoch muss die Familie am 22. April 1945 kurz vor Kriegsende ein Todesopfer beklagen. Auf dem Weg zum schützenden Gewölbe wird Ida Maucher, die Mutter von Josef Schneiders Frau, durch Splitter einer amerikanischen Granate schwer verletzt. Sie stirbt mit 47 Jahren im Keller. Heute sind höchstens ein paar Fledermäuse zu Gast, für die in einer schweren, stark gesicherten Holztür eine Einflugschneise freigehalten ist. Ludwig Maucher ist erst 1947 aus russischer Gefangenschaft zu seiner Tochter Lore und seinem Sohn Karl-Eugen zurückgekehrt. Der heutige Besitzer Josef Schneider ist der Schwiegersohn von Ludwig Maucher.  

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SS-Runen zeugen von einer schlimmen Vergangenheit

 

     Als Ida Maucher starb, war die Straße noch nicht nach dem einstigen fürstpröpstlichen Baumeister Arnold Friedrich Prahl benannt. Alfred Rosenberg war zuvor der Namenspate. Der NSDAP-Ideologe hat mit seinem antisemitischen Hauptwerk „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ wesentlich den Rassenwahn befeuert. Als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete war er mitverantwortlich für die systematische Ermordung der dort lebenden Juden. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ist er 1946 zum Tode verurteilt und gehenkt worden. 

      Die Menschen haben in den letzten Kriegsmonaten nicht nur Schutz im Maucher-Keller gesucht. Auch im Rotochsen-, Löwen- und Hungerbergkeller, um nur einige zu nennen, haben sie sich vor drohendem Bombenhagel in Sicherheit gebracht. In fast allen dieser unterirdischen Gewölbe ist Sandstein abgebaut worden. (Laut Unterer Denkmalschutzbehörde der Stadt gibt es in Ellwangen zwölf Felsenkeller.)

      Der Kellereingang befindet sich direkt neben dem unter Denkmalschutz stehenden Pavillon. Einst im Besitz des Bankiers Dorrer, ist er nicht nur Mittelpunkt eines großen Gartens sondern auch Ort reizvoller Gartenfeste gewesen, wie Josef Schneider in Erfahrung gebracht hat. Die Zimmermannskonstruktion des Dachgebälks hat unter dem Titel „Ein Gartenhaus aus dem ehemaligen fürstpröpstlichen Garten Ellwangen“ Eingang in die Bauskizzen der Fachhochschule Mainz gefunden. Ein Blick hinauf zum Schloss zeigt, dass sich der Erbauer von dessen Dacharchitektur hat inspirieren lassen.

      Knipsen wir zusammen mit Karl-Josef Schneider die Taschen- und Handylampen an, knöpfen die wärmenden Jacken bis zum Hals zu und ziehen den Schal ein wenig fester. Dort unten ist es zappenduster. Und ziemlich frisch. Etwa 8 Grad Celsius zeigt das Thermometer an. Das ganze Jahr über! Im Schein der Lampen tauchen hallenartige Gewölbe mit Podesten für Fasslager auf. Ob hier tatsächlich Bierfässer gelagert worden sind, lässt sich nicht bestätigen. Zumindest haben hier die Maurer und Gipser, die im Winter den Sandstein abgebaut haben, genügend Platz zur Pause bei der anstrengenden Arbeit gefunden.

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Hinterlassenschaften ehemaliger Besucher. Der Gegenstand rechts könnte ein Stahlhelm gewesen sein.

 

    Schwarze Dübel in der Decke sind die Überreste der elektrischen Leitungen und Glühlampen, die in dem Luftschutzkeller verlegt worden waren. Da die Gänge und Gewölbe auch nach dem Krieg noch öffentlich zugänglich waren, fand die komplette Elektroinstallation binnen kurzer Zeit neue Besitzer. Ludwig Maucher hat deshalb nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft die unverschlossene Holztür zur Prahlstraße zugenagelt. Ein Notausstieg mit einer Holzleiter, der zum heutigen Grundstück Fuchs führte, ist eingestürzt und besteht nicht mehr. 

     Unser Führer erläutert auf einem von seinem Vater angefertigten Plan die Anlage des Stollensystems. Systematisch vorangetrieben worden sind die einzelnen Gänge und Hallen jedoch nicht. Sie sind unterschiedlich hoch und breit. Zum Teil sind die Gänge verschüttet. Vor allem dort, wo erdige Schichten und anderes Gestein den Sandstein durchziehen und angestrahlt ein differenziertes erdiges Farbenspiel offenbaren.

    Sorgenvoll wandern einige Blicke zur Decke knapp über dem Scheitel. Doch Schneider beruhigt. Seit er durch den Keller streift, hat ihm noch kein Steinschlag den Weg versperrt. Dennoch freut man sich über das Licht des Tages, das am Ende der Tour durch den Treppenschacht nach unten dringt. Und selten hat man den Anblick der leuchtend roten Äpfel, deren Anblick einen oben empfängt, und den Hochprozentigen, den der hochbetagte Hausherr putzmunter kredenzt, so genossen.

 

Wolfgang Nußbaumer

 

(Für die historischen Informationen sagt der Autor dem Hausherrn Josef Schneider herzlichen Dank.)

 

  

          

Letzte Änderung amFreitag, 12 Oktober 2018 16:53
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