Mehr als Episoden

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Wolfgang Herzer in der ehemaligen Papiermühle bei Rednitzhembach. Wolfgang Herzer in der ehemaligen Papiermühle bei Rednitzhembach. Fotos: Maria Eger

Wie soll man jemand einfangen, der bei 17 hängen geblieben ist?

Das hat der Künstler, Comicautor und Vorsitzende des Kunstvereins Weiden in Oberfranken, Wolfgang Herzer, in einem Interview zu seinem 70. Geburtstag mit dem Bayerischen Rundfunk offenbart. Ich weiß und kann’s verstehen, warum er dort rumhängt. Mit 17 hat man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume. Mit 70 wächst nichts mehr. Zumindest nicht in die Höhe. 

    Wie unser Jubilar, der aus verständlichen Gründen keiner sein will, habe ich mit Mathematik und anderen naturwissenschaftlichen Folterinstrumenten nichts am Hute. Unlängst hat ein eloquenter emeritierter Professor der Mathematik von der Ulmer Uni bei der Vernissage einer Künstlerin, die sich malend, zeichnend und formend in den Fibonacchi-Zahlen und dem Goldenen Schnitt verheddert hat, vergnügt bekannt, sein Fach bereite ihm das reine Vergnügen. Da habe ich mich an meine mündliche Abiturprüfung vor 52 Jahren erinnert. Ich allein vor einer riesigen Tafel wie der Ochs vor dem Berg; ein Stück Kreide in der Hand. Unfähig, geometrisch umzusetzen, was die Jury von mir verlangte. Eine Wurzel ziehen. War ich denn Zahnarzt?

    Der durch diese Tortur verursachte seelische Schmerz hat mich noch Jahrzehnte in meinen Träumen heimgesucht. Ihn zu besänftigen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ihn zeichnend bildhaft zu sublimieren und zumindest in der Fantasie ad absurdum zu führen wie Wolfgang Herzer – sich in der Welt als Wille und Vorstellung des skeptischen Philosophen Schopenhauer zu verbarrikadieren - oder dem Schmerz schreibend und redend den Zahn zu ziehen. Wie ich es versuche. 

    Zur Beschreibung dieses Unterfangens darf ich eine meiner liebsten Comic-Zeichnungen vorstellen: Der einstige König von Korinth muss als Strafe für was auch immer – da streiten sich die Gelehrten bis heute – für ewige Zeiten einen Felsblock den Berghang hinaufwuchten. Auf dieser Zeichnung sitzt seine Frau am Fuße des Hanges an einem gedeckten Tisch und ruft: „Sisyphos, Essen ist fertig!“ Gemein, gell.  Der schwarze Witz hat jedoch wie fast alle seiner Art eine philosophische, um nicht zu sagen ethische Dimension. Ließe er die Last los, würde seine Frau Momente später ziemlich flach aussehen. Möglicherweise würde jedoch die Qualität der Mahlzeit diesen Akt des Widerstands gegen die ihm auferlegte Gottesstrafe rechtfertigen. Wir wissen es nicht.

                                               Schuld ist der Vater

     Wissen wir, warum Wolfgang Herzer in Weiden hängen geblieben ist? In der fränkischen Oberpfalz, notabene. Eine Gottesstrafe? Als Schwabe von der Ostalb assoziiere ich mit dieser Ortsangabe Fuchs und Has’. Umgekehrt wird’s vermutlich genau so sein. Ellwangen ist von der Landeshauptstadt Stuttgart gefühlt mindestens ebenso weit entfernt wie Weiden von München. Weiden liegt seit dem Mauerfall in der Mitte Deutschlands. Das behauptet zumindest unser Künstler. Ach ja, warum ist er nicht nur bei 17 hängen geblieben, sondern als gebürtiger Lübecker auch in der Oberpfalz? Schuld ist der Vater. Als Chirurg ist der einst samt Familie in einer Lungenheilstätte in Wöllershof  im Landkreis Neustadt/Waldnaab gelandet. 

      Rückblick: Ist der Comic eine Erfindung der Amerikaner? Wegen der Sprechblasen etwa? Nein, die komischen Bildergeschichten hat es schon lange vor Donald the Duck Trump und dem grandiosen Underground-Godfather Robert Crumb gegeben. Viel länger. Unsere Altvorderen in der Steinzeit haben bereits ihre Höhlenwände mit Bildsequenzen geschmückt. Auf Darstellungen aus der Antike lassen sich ein paar Zigtausend Jährchen später ebenfalls Bildfolgen feststellen. Jedenfalls wurzelt Herzers Personal ebenso wie jenes der Asterix-Schöpfer Goscinny und Uderzo in einer Zeit, als die Menschen noch in Höhlen lebten, dem Mammut zu Leibe rückten und vor dem Säbelzahntiger auf die Bäume flohen.  

     Rednitzhembach – red nix in Hembach, sonst rauscht du hemmungslos da Bach nab, irrlichtert mir’s durch den Kopf. Ja, Papier ist geduldig. Es wird zwar geschöpft; aber es ist ihm egal, ob es mit schöpferischen Inhalten oder Geschwafel bedeckt wird. Ja, Papier hält viel aus. Nicht alles.  Nicht die starken Hände des Felix Nikolaus Alexander Georg Graf von Luckner. Der Kollege von Kapitän Duss Lehmgeht Walther und Chef auf dem kaiserlichen Hilfskreuzer „Seeadler“ war bekannt dafür, dass er mit bloßen Händen Telefonbücher zerreißen konnte. Seine Familie stammt, wie es der Zufall will, ebenfalls aus der Oberpfalz. Doch wer glaubt in Everywen, wo Herzers Comic-Familie lebt, schon an Zufälle. 

    Papier ist ein williger Diener ohne Ansehen der Person, ein treuer Begleiter des Analogen. Ohne Papier hätte Gutenberg nichts zum Drucken gehabt. Womöglich wäre uns deshalb sogar der Dreißigjährige Religionskrieg erspart geblieben, weil kaum jemand die Bibel gekannt hätte. Respektive Luthers Thesenanschlag – auf Papier - zu Wittenberg, um die Geschichte nicht zu sehr zu klittern. Schließlich muss man keine Papiertiger fürchten, wie Mao Zedong in seiner „roten Bibel“ dargelegt hat.

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Episode aus "Der Aufstand der Dosen": Der Kapitän übernimmt das Steuer auf dem Schiff, während der Alte Knochen unter Deck geht, um ein paar Hörschnecken zu holen.

 

    Wolfgang Herzer gehört zu der Spezies Mensch, ohne deren Einwirkung Papier häufig recht langweilig wäre. Er schöpft auf Papier, zu dem wir einfach noch die Leinwand okkupieren. Ein Wortverdreher und Satzsalber erster Güte ist er. Die „Star Wars“-Macher sind im Vergleich mit ihm kleine Fische. Sie haben es mit Ach und viel Krach auf gerade mal VIII Episoden gebracht; er auf mittlerweile 18. Wie Joyce in seinem „Ulysses“ mit 18 Kapiteln. 20, 21 und 22 sind bei Wolfgang Herzer in Vorbereitung: „Der Aufstand der Dosen“. Episode 19 fehlt in der Liste. Vielleicht sollte man die Lückenknüllerkids auf die Suche schicken. Die können sogar schwarze Löcher stopfen, die man von Rednitzhembach aus gar nicht sieht. Ganz bestimmt finden sie die Mauer, an der sich Herzers Bewusstseinsstrom staut. 

    Hört und sieht man dem Erfinder von Melo, Groß-E, Woo-Fi und Hier-Soll-Es-Schön-Sein zu, geht es einem wie Omar Sheriff, als er Julie Christie in dem auf der Ohrinsel spielenden berühmten Arztroman „Dr. Schikago“ tief in die unergründlichen Augen blickte. Zärtlich hat er gehaucht: „Here’s looking at you, kid“, vulgo: „Ich schau dir in die Augen, Kleines.“ Man weiß offensichtlich nicht, wo einem der Kopf steht, wie mein Beispiel eben lehrt. Rinks oder lechts, um den konkreten Poeten und Lautmaler Ernst Jandl ins Boot zu holen. Hier gehört er auch hin. Er ist einer von uns.  

                              Kaum zu fassen

      Eine ganze Wagenladung Arbeit habe ich mir aufgeladen. Manchmal habe ich mich wie Sisyphos gefühlt. Allerdings wie einer, der in die Tiefe bohrt und nie nach unten kommt. Wolfgang Herzer ist wie „Thomas Crown“, den der großartige Steve McQueen verkörpert hat, nicht zu fassen. Er ist ein Chamäleon, das virtuos mit der Kunst-, Kultur- und Geistesgeschichte spielt, deren Gallionsfiguren ohne Häme parodiert und karikiert und wundervollen Ersatz schafft. Nur ein kleines Beispiel aus einer Branche, die aus der Verbindung von Geist und Papier geboren worden ist. In der E 2 „Herzkissen“ wird aus Ro an dessen 40. Geburtstag „Rororo“. 

    Bleiben wir bei der Kunst. Herzers Oeuvre spannt sich von abstrakten Zeichnungen auf Papier bis zu starkfarbiger gegenständlicher Malerei. Letztere verrät in ihrer figuralen um nicht zu sagen frugalen Plastizität, der überschäumenden Fantasie und der perspektivischen Unbekümmertheit schon verwandtschaftliche Beziehungen zu Woo-Fi und seinem liebenswert schrulligen Clan. Sie sehen aus, als ob Herzers deftiger Comic-Kollege Manfred Deix gemeinsam mit einem anderen Meister der komischen Kunst, Gerhard Haderer, allerdings mit total entschärftem Pinsel zugange gewesen wäre.

 

     Meine persönlichen Favoriten des Künstlers sind seine abstrakten Schwarzweiß-Zeichnungen. Sie bilden den anderen der beiden Pole, zwischen denen sich sein Werk bewegt, das Informel. In ihrer von einem linearen Geflecht umfangenen flächigen Schraffur, aus deren freiem Chaos sich Formstrukturen herauszubilden scheinen, kann man sie als Paraphrase auf die Schöpfungsgeschichte lesen – oder weniger pathetisch auf  „Melos Ausbruch“, die 16. der Episoden. Sieht man sie als mit einigen Farbtupfern geadelte Blumen, darf man je nach gusto „hair“ige Hippie-Zeit oder blühende Landschaften assoziieren. Auf keinen Fall jedoch „Les Fleurs du Mal“. 

                            Der Hammer weist den Weg

   Was zeigen uns diese verschiedenen Positionen seiner Kunst? Einmal, und das kann man nicht nachdrücklich genug betonen: dass man das vermeintlich einfache, „kindliche“ künstlerisch plausibel nur gestalten kann, wenn man sein zeichnerisches Handwerk im Schlaf beherrscht. Und wie in Wolfgang Herzers Falle einen Hammer nicht zum Draufhauen benützt. In Herzers Händen gibt er die Form vor; ja, der Künstler setzt das Gerät sogar ganz real als gestalterisches Prinzip ein. Dennoch sind seine Blütenträume alles andere als grobschlächtig; sehr wohl jedoch von rustikaler Eleganz mit einem ironischen Reflex auf ihre Genese.

    Ferner offenbaren diese Blätter, wohin Herzers künstlerisches Erkenntnisinteresse zielt: ihn interessieren unterschiedliche Zustände, Entwicklungen, Möglichkeiten. Was passiert, wenn ich was mache. In seinen Episoden lässt er diesem Interesse, ja diesem Drang, mit ungebremster Spielfreude freien Lauf. Und schließlich offenbart er sich als Inkarnation künstlerischer Intelligenz. Was für ein Trost in Zeiten, in denen wir permanent mit den ahnungsvollen Möglichkeiten sogenannter künstlicher Intelligenz konfrontiert werden. 

 

Wolfgang Nußbaumer

 

(Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung der Einführungsrede, die der Autor zur Eröffnung einer Ausstellung von Wolfgang Herzer mit kunstvollen Comics und Arbeiten auf Papier in der Oberfichtenmühle bei Rednitzhembach im Juni dieses Jahres gehalten hat)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

        

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