Zynische Perspektive Empfehlung

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Zynische Perspektive

 

Was hat Ellwangen eigentlich mit Vilankulo in Mosambik zu tun?

   Und was Aalen mit der LEA, der Landeserstaufnahmeeinrichtung (so tolle Begriffe schafft nur die deutsche Sprache) am Rande der Schul-, Justiz-, Kirchen- und Kulturstadt an der Jagst. Sagen wir mal so: kaum etwas. Daran hat auch die Eskalation vor wenigen Tagen, mit der „die gute Stadt“ (Württembergs König Friedrich I. anno 1811) bundesweit in die Schlagzeilen geraten ist, nichts geändert.

    In einer örtlichen Zeitung stellt sich das ganz anders dar. Auf der Ellwanger Seite wird nach bestem St. Floriansprinzip ein „Schlussstrich“ gefordert - fünf Jahre LEA seien genug - während im Aalener Teil der selben Ausgabe der mit einer  Aalener Delegation zwecks Geschichtsschreibung im sehr fernen Mosambik weilende Chefredakteur die Polizeiaktion als „Abschiebe-Skandal“ geißelt. Stilvoll in einer Baumhütte (armes Land!) hat dort OB Rentschler zusammen mit seinem dortigen Amtskollegen einen Freundschaftsvertrag mit der Küstenstadt Vilankulo unterschrieben, während es fast gleichzeitig in der in diesem Falle ebenso fernen Landeseinrichtung drunter und drüber ging. 

    Die Frage des leitenden Redakteurs, ob man in der Parallelität der Ereignisse einen „unglücklichen Zufall“ sehen könne, ist indes ebenso obsolet wie die Mutmaßung, in Aalen würde irgendjemand interessieren, was in der einstigen Oberamtsstadt abgeht – wie umgekehrt auch! Das eine hat mit dem anderen nur insofern etwas zu tun, als bei einer Auflösung der LEA die Flüchtlinge eben wo anders untergebracht werden müssten. Und zwar in Ellwangen, wo der Wohnraum ohnehin knapp ist.

    Tatsächlich haben die Ellwanger mit den LEA-Bewohnern keinen nennenswerten Ärger gehabt. Nicht einmal zur Hochzeit mit fast 5000 geflüchteten Menschen. Dafür sehr gute Geschäfte gemacht. Später haben einige aus dem Maghreb stammende Kriminelle die öffentliche Ordnung gestört. Sie sind postwendend ausgelagert worden. Der eigentliche Skandal war der „spontane“ Aufmarsch von rund 900 Russlanddeutschen vor der LEA; angeführt wurde dieser Mob, der sich vor Jahren ja ebenfalls wegen der Hoffnung auf ein besseres Leben auf den Weg nach Westen gemacht hatte, von einem polizeibekannten Neonazi. Da ging unter den Geflüchteten die Angst um.

   Zurück nach Mosambik in eines der ärmsten Länder der Welt. Der schwedische Autor und Theaterregisseur Henning Mankell hat nicht nur einige zu Herzen gehende Romane über das immer noch unter den Folgen seiner portugiesischen Kolonialzeit und eines langen Bürgerkrieges leidende Land geschrieben, sondern in dessen Hauptstadt Maputo auch ein Theater gegründet. Wie Mankell sieht sich auch der Aalener Banker Siegfried Lingel dem schwarzen Kontinent verpflichtet. Dem Schatzmeister der „Deutschen Afrika Stiftung“ ist die Verbesserung der Situation in Mosambik als dessen Honorargeneralkonsul ein besonderes Anliegen. Erwähnung hätte er verdient, auch wenn er nicht Mitglied der Delegation gewesen sein sollte. Ohne ihn wäre der Freundschaftsvertrag vermutlich nicht zustande gekommen. 

    Ob diese Vereinbarung eine „Perspektive“ eröffnet, die junge Menschen des Landes davon abhält, sich nach Europa auf den Weg zu machen, wie im Kommentar suggeriert wird, darf bezweifelt werden. Eine „Perspektive“ ist unter den real existierenden Umständen nicht mehr als ein Wechsel auf eine ungewisse Zukunft. 

   Das gilt auch für den jungen Mann aus Togo, der in eine Heimat ohne Perspektive abgeschoben werden sollte. Ein Freundschaftsvertrag mit der Stadt eines autokratisch regierten Landes, in dem die Pressefreiheit mit Füßen getreten wird, ist schwer vorstellbar. Denn man muss sich letztlich die Frage stellen, warum er sich auf einen Weg gemacht hat, der für viele in den Tod führt – verdurstet, ertrunken, ermordet. Für diese Menschen kann die Rückkehr keine Perspektive sein. Sie auszumalen ist zynisch. 

Wolfgang Nußbaumer              

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