Einfach göttlich

Ferdinand (Christian Schneeweiß) fetzt sich mit Luise (Lea Ruckpaul). Ferdinand (Christian Schneeweiß) fetzt sich mit Luise (Lea Ruckpaul). Fotos: Conny Mirbach

„So viel Ebenmaß, so göttlich, so vollkommen“, so schwärmt Ferdinand von Walter in Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“ über seine geliebte Luise.

   Kann man verstehen – über den Klassikertext hinaus. Denn diese wunderbare Luise heißt mit bürgerlichem Namen Lea Ruckpaul und ist ein Bühnenwunder. Ein Solitär noch unter dem für schauspielerische Qualität bürgenden Ensemble des Stuttgarter Staatsschauspiels.

    Im „Nord“ liebt und leidet die zierliche Person mit dem hünenhaften Christian Schneeweiß als Ferdinand von Walter. Sie kriegt ihn klein. Bis zum gemeinsamen Bühnentod. Wie die beiden auf einander zu robben, nachdem sie die Flasche mit dem Gift geleert haben, ist Slapstick, der zu Tränen rührt. Immerhin hat sie sich gleich drei kleine Flaschen geschnappt, nachdem er mit einer Riesenflasche angegeben hat. Immer auf Augenhöhe, keinen Handbreit nachgeben. Niemand gegenüber. Erst recht nicht einknicken vor dem selbstgefälligen Macho Präsident von Walter (Jürgen Lingmann). Der hat seinen Sohnemann – ungefragt natürlich – bereits offiziell standesgemäß verkuppelt; mit der Lady Milford. In der Doppelrolle lässt  Lea Ruckpaul umwerfend komisch die feine englische Dame parodierend ihrem komödiantischen Talent freien Lauf. Mit ähnlicher Qualität wütet Ferdinand (Schneeweiß) kurz vor der Schnappatmung gegen seinen omnipotenten Vater.

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Sekretär Wurm (Rahel Ohm) hat Luises (Lea Ruckpaul) Schicksal in der Hand.

 

     Wie Wolfgang Michalek aus diesem Trauerspiel Lachfunken schlägt ohne die Tragik und die eigentlichen Konfliktlinien (höfische Verschwendungssucht, Mätressenwesen und Intrigen) unterzubuttern, lässt einen nur noch staunen. Seine beiden Hauptprotagonisten stürmen und drängen und raufen in zeitloser Turtelei. Umso krasser schlägt das Schicksal in Gestalt des intrigant schleimenden Haussekretärs Wurm zu, der ebenfalls ein Auge auf Luise geworfen hat. Rahel Ohm zeichnet dieses durch und durch hässliche Subjekt mit einem grandiosen Mut zur Niedertracht; der Wurm bringt Luises Vater hinter Gitter und erpresst die Tochter zu einem fingierten Brief  - und zur Verschwiegenheit darüber - , der Ferdinand in Verzweiflung und rasende Eifersucht stürzt.

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Luise (Lea Ruckpaul) fiebert dem geliebten Ferdinand (Christian Schneeweiß) entgegen - und der tiefen Enttäuschung.

 

     Der knorrig aufbrausende Stadtmusikant Miller mit der tiefen Abneigung gegen den Adel und dem Herzen auf dem rechten Fleck ist bei Michael Stiller in besten Händen. Mit seinem Stolz steht er indes dem blaublütigen Dünkel in nichts nach. Weshalb seine Tochter auf keinen Fall einen Junker ehelichen darf. Das geht gar nicht. Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg. Oder doch? Als „Rocky Horror Picture Show“ treten sie alle zusammen mal ziemlich wüst vors Publikum.

     Boris Burgstaller und Gabriele Hintermaier verkörpern als bronzierte Säulenheilige im „Look“ der Schillerzeit die „Gute stehende Schaubühne“ – und damit das Theater als moralische Anstalt, wie es der Dichter postuliert hat. Dass Lea-Luise in ihrem Zorn über den verbiesterten Ferdinand die Bühne zu ihren Füßen abmontiert, konterkariert das Postulat. Michalek zeigt auf Julian Marbachs alles offen legender Bühne Neues aus der Anstalt. Eine Rocky Horror Picture Show, die Klassiker-Hasser in Fans verwandelt. 

Wolfgang Nußbaumer 

Info: Nächste Aufführungen 09.02.; 10./20./21.03. im „Nord“ (Löwentorstraße 68); Karten tel. 0711-202090; www.schauspiel-stuttgart.de

   

            

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