Nur die Nächstenliebe zählt Empfehlung

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Nur die Nächstenliebe zählt Foto: wikipedia, Heike Huslage-Koch

Drei Tage vor seinem 87. Geburtstag hat Heiner Geißler im Forum Schönblick einen Vortrag gehalten. Heute wird das CDU-Urgestein beigesetzt. Eine Erinnerung.

Bevor der versierte Redner loslegen kann, lässt Schönblick-Direktor Martin Scheuermann die „beispiellose politische Karriere“ des früheren CDU-Generalsekretärs, Landes- und Bundesministers Revue passieren, der 22 Jahre Mitglied im Bundestag war. Dann betritt er das Podium, immer noch behände wirkend, wenn auch etwas langsamer und kleiner geworden, und fängt an zu parlieren, über die lebensverlängernde Wirkung des in Maßen genossenen Weins, über seinen eigenen Weinberg in der Südpfalz, über seinen schulischen Werdegang und das Studium bei den Jesuiten, einem Orden, dem er selbst vier Jahre angehörte. Rhetorisch ganz der Alte, versteht er es, rund eineinhalb Stunden das Publikum zu unterhalten. Worüber allerdings etwas Unmut aufkommt: In der ersten Hälfte kommt er nicht wirklich zu seinem Thema: „Was müsste Luther heute sagen?“, so auch der Titel seines neuen Buches.

Heiner Geißler erzählt über die konfessionell geprägten früheren Wahlgepflogenheiten: Katholiken wählten konservativ, Protestanten eher die Sozialdemokraten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe man diese politische Spaltung der Konfessionen langsam überwinden können. Ein CDU-Mann ist er noch durch und durch: Die CDU ist für ihn diejenige Partei, die versucht, der Politik ein ethisches Fundament zu geben.

Lange verweilt Geißler bei dem Reformator, dem er trotz aller Kritik viel Respekt zollt. Hier hatte er vermutlich nicht ganz seine Zielgruppe im Auge – ein Publikum, das sich vermutlich relativ gut auskennt mit der Reformation. Er erklärt, wie Martin Luther es geschafft hat, die Priesterkirche abzuschaffen und sich ganz auf die Schrift konzentriert hat. Die Rechtfertigungslehre allerdings müsse überprüft werden, von der Erbsünde stehe nichts im Evangelium. Für Heiner Geißler ist es ganz und gar nicht nachvollziehbar, dass der Mensch von Natur aus verdorben und verbogen sein soll.

Ein weiterer Dorn im Auge ist ihm die Rolle der Frau in der Geschichte des Christentums: Weil sie laut Schöpfungsbericht vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und sich vom Bösen verführen ließ, sei sie zum Objekt der Entrechtung und Diskriminierung geworden. In diesem Punkt zollt er dem Reformator großen Respekt – er habe mit der langen frauenfeindlichen Tradition aller prophetischen Religionen gebrochen. Nach dem Thema Frauen und Religion nimmt sich Geißler auch noch das Problem der Theodizee vor: Warum lässt Gott zu, dass jeden Tag hunderttausende Menschen gequält, gefoltert und vergewaltigt werden. Eine Antwort darauf gebe es nicht, auch die Kirchen müssten so ehrlich sein.

Was heute aber mehr zähle als alles andere, sei die Nächstenliebe. In einer Zeit, die laut Bankmanager Hilmar Kopper von den drei Gs Geiz, Geld und Gier beherrscht wird, seien die Christen mehr denn je gefordert. „Luther müsste heute sagen, revidiert den Fehler von damals,  geht wieder zusammen.“ Mit zwei Milliarden Menschen, die sich zu dieser Religion bekennen, sei das Christentum der größte Global Player der Erde.

Durch und durch versiert zeigte sich Heiner Geißler in der abschließenden Fragerunde, in der er etwa in der Familienpolitik moderne und pragmatische Positionen vertrat. Interessant war seine Antwort auf die Frage: „Nehmen Sie die Bibel ernst als Gottes Wort?“  Er halte es mit der modernen Bibelwissenschaft nicht für möglich, jeden Satz ernst zu nehmen. Und zum Alten Testament meint er, es spiele nur deshalb eine Rolle, weil man in der Frühzeit des Christentums wollte, dass sich alle zur neuen Botschaft bekennen können.

Birgit Markert 

Info: Heiner Geißler: Was müsste Luther heute sagen? Ullstein-Verlag, 288 Seiten, 20 Euro



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