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Ökonom der Mittel und Worte Empfehlung

Ökonom der Mittel und Worte

Ein Ökonom der Mittel - und der Worte; Erinnerung an einen großen Künstler: Albrecht Vogel.

Eine der ersten Radierungen des Künstlers und Kunstdozenten an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, Albrecht Vogel, zeigt einen kleinen Kerl mit Zipfelmütze, der einen riesigen Sack hinter sich herzieht. Der enthält allerlei Krimskrams; Spielzeug und anderes, was das Kinder- und das kindliche Herz erfreut. Ein Weihnachtsmann mit seinen Gaben. Programmatisch lässt ihn Albrecht Vogel 1967 in sein Leben treten. Seht, hier komme ich – und ich habe euch einiges mitgebracht. Hunderte Radierungen, plastische Arbeiten von großer Qualität, Gefäße aus Silber, die er in den letzten zehn Jahren seines Lebens geformt hat, das am 19. Januar 2016 zu Ende gegangen ist; von der Fülle der klein- und großformatigen Zeichnungen und seinen kalligraphischen Blättern, die er mitunter mit der Zeichnung verbindet, ganz zu schweigen. Auf den ersten Blick scheint dieses kleine Blatt so richtig lieb, harmlos, positiv. Auf den zweiten fällt das Missverhältnis zwischen Mann und Gabensack ins Auge. Der Kleine müht sich ab am Guten. Zuviel des Guten?

Beim Zeichnen in der Toskana.

   In diesem frühen Blatt erkennt man schon eine der Konstanten in Albrecht Vogels Schaffen. Der ironisch-skeptische Blick auf die Welt, die formale Sicherheit, losgelöst vom Gegenstand – und die zugleich aufscheinende Kongruenz von Bildidee und Umsetzung. Es geht um Raum und Fläche, um das Verhältnis der Körper, um Perspektive – und es geht um das narrative Element, die Geschichte, die er erzählt. Dem Künstler ist die sinnlich erfahrbare Welt wichtig als wahrnehmbare Wirklichkeit. Aus ihr schöpft er: Natur- und Industrie-Landschaften, Interieurs, Architekturstudien, Personen, Details als Bestandteile seiner rätselhaft komplexen Kompositionen. Je nach  Erkenntnisinteresse und wohin Radiernadel und Zeichenstift drängen, können sie im Gegenständlichen bleiben oder sich radikal von ihm entfernen in die vollkommene Abstraktion. Da schlagen keine zwei Seelen in der breiten Brust des gebürtigen Westfalen; sondern das ist die künstlerische Freiheit, das denkend zu schaffen, was die Logik von Idee und Prozess fordert. Die Vielfalt ergibt sich aus dem Spiel der bildnerischen Mittel.

     Eine Maxime führte ihm dabei immer die Hand, im Gegenständlichen und im Ungegenständlichen: „Ein Minimum dessen, was der Künstler will, muss visualisiert sein“, betont er. Der ästhetische Sinn des Geschaffenen muss sich unabhängig von der inhaltlichen Dimension in einem gewissen Maß mitteilen. Anders gesagt. Wenn sich der Sinn eines Kunstwerks erst durch ausführliche kunsthistorische und –soziologische Exegese dem ratlosen Betrachter erschließt, stammt es nicht von Albrecht Vogel. In dem Punkt war er sehr sympathisch altmodisch.

   Dabei war der kantige Kerl, den es schon früh aus Minden in den Süden der Republik verschlug - 1966 hat er in Schorndorf sein Abitur gemacht - alles andere als geschwätzig in seiner Kunst; und nicht im Leben. Die Ökonomie der Mittel zeichnete ihn aus. Das Richtige mit dem Richtigen zu tun – und bloß nicht zu viel. Ästhetik war für ihn ein Aspekt der angemessenen Dosis. In Reinkultur zu betrachten in seinen kalligraphischen Arbeiten. Sie waren für den Schwarzkünstler, der auch in der traditionellen Typographie zuhause war, „eine unglaubliche differenzierte Schulung“. Wer durch diese Schule der gestalterischen Disziplin gegangen ist, kann sich später im freien Spiel der zeichnerischen Kräfte als Souverän behaupten. 

       Deswegen wird man auf seinen Blättern, ob Radierung, Zeichnung oder Malerei,  vergeblich nach der auftrumpfenden Geste suchen, nach dem grellen Apostroph, nach der virtuosen augenwischerischen Attitüde. Stattdessen wird man Werken begegnen, die in innerer Balance ruhen, die von formaler Harmonie geprägt sind, obschon sie häufig gerade nicht nach Harmonie streben. Sein Deutsch-Kollege an der PH, Martin Selge, hat in seiner klugen, warmherzigen Einführung zur letzten Ausstellung Albrecht Vogels, die ihm der Gmünder Kunstverein im Frühjahr 2015 gewidmet hat, dessen Ordnungsmaxime zitiert: „Das Gesehene teilen wir in Ordnungen, reguläre und irreguläre – aufgeräumt oder unordentlich. Mich zieht der Zwischenbereich an, sowohl formal als auch inhaltlich, dort, wo es ineinander übergeht.“ 

        Bis 2014 hat er zehn Jahre lang als Vorsitzender und „Experte für visuelle Denkanstöße“ (Selge) die Galerie des Kunstvereins im Kornhaus zu einem Hort der Qualität gemacht. Für Kompromisse war er nicht zu haben.  Das gilt auch für die 2014 erfolgte Gründung einer Jugendkunstschule. Über viele Jahre hinweg hatte er dieses Projekt, mit dem er auf der Basis einer soliden Kunstdidaktik junge Menschen an die bildende Kunst heranführen wollte, hartnäckig verfolgt. Blubberblasendruck war gewiss nicht sein Ziel.

     Geduld, Ausdauer und Fleiß hat Albrecht Vogel als wesentliche Tugenden des Künstlers postuliert. Ein Talent ohne Disziplin sei wie ein Auto ohne Benzin, hat er lakonisch festgestellt. Das klingt nach Arbeit, nicht nach Bohème. Können war für ihn Voraussetzung für Kunst. Wer sein Handwerk nicht versteht, wird  sich womöglich selbst beschädigen, wenn er mit der Stahlnadel ins widerspenstige Blech gräbt. Oder mit dem Hammer die Silberplatte in die dritte Dimension treibt. Er wird scheitern im Kampf mit dem Material.

 

     „Wir haben einen großen Mangel an dieser ästhetischen Erziehung“, bedauert der Künstler, der seit 1980 als Dozent an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd sein Credo von der Ökonomie der Mittel gelehrt hat. Von der Ästhetik der richtigen Dosierung, die Disziplin und Selbstbeherrschung verlangt. Letztlich steht diese Ästhetik im Dienst einer Kunst, von der Albrecht Vogel ganz fest überzeugt war, dass sie eine geistige Tätigkeit sei.

     Albrecht Vogel war – gleichwohl - ein Handwerker. Im Dienst der Kunst. „Ursprünglich wollte der Bub Ingenieur werden“, hat er im Gespräch verraten. Bevor er sein Studium an der Gmünder PH aufnahm, das er an der Stuttgarter Kunstakademie fortgesetzt hat, absolvierte er ein Praktikum als Werkzeugmacher. Später hat er ein altes Motorrad zusammengeschraubt, eine alte Limousine und Möbel restauriert und sich bei Bedarf sein Werkzeug selbst gebaut. Notgedrungen auch. Weil die einst so weit verbreitete Kunst des Radierens zu einer Randdisziplin geworden war, produzierte kaum noch jemand die Gerätschaften dafür. Sie erfordert, wie erwähnt, Beherrschung des Handwerks, Geduld und Beharrlichkeit, um im Kampf mit dem Material zu überzeugenden Lösungen zu finden. Tugenden, über die dieser vielseitige Künstler in reichem Maße verfügt hat.

     Nicht von ungefähr grüßt von der Stirnwand in Vogels Atelier in Heubach eine kleine Vignette mit der Aufschrift: „Ritter der Radiernadel und des holländischen Ätzwassers.“ Seine Frau Marie-Jeanne hat diesen lichten Raum mit seinem geordneten Chaos ebenso unberührt gelassen, wie seine mit diversen Geräten, Werkzeugen und Maschinen voll gestopfte Werkstatt. Man hat das Gefühl, gleich werde sich eine Tür öffnen, Albrecht Vogel eintreten und in seinem ganz persönlichen „Zwischenbereich“ die gerade an der Staffelei oder der Werkbank begonnene Arbeit fortsetzen. Orte eines Alleskönners. Albrecht Vogel würde diese Bezeichnung zurückweisen. Sie stimmt dennoch.   

 

Austernkisten am Strand der Bretagne als Radierung.

    Dieser Mann, dem die Welt nie genug war, hat Eindrücke aufgesaugt wie ein Schwamm das Wasser. Ein Prozess, der von außen nach innen verläuft. Die Vogelfluglinie seiner Reiseimpressionen – ob radiert oder gezeichnet - reicht von den äußeren Hebriden im stürmischen Atlantik bei Schottland bis ins Land, wo die Zitronen blühen. Das Raue und das Süße, die Kälte und die Wärme, die extreme Herausforderung und das Bad der Sinne verbinden sich in seinen Erfahrungen. Und war sein Wahrnehmungsspeicher vollgesogen, vollzog sich die Metamorphose. Die Eindrücke drängten nach draußen. Allerdings in völlig vergeistigter Form; abstrahiert, als Essenz. Der Dichter Friedrich Hölderlin hat diesen Prozess so beschrieben: „Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben.“

    Zwar hat Albrecht Vogel betont, was ihn mehr interessiere als die Motive seien Fragen der Bildlösung wie das Verhältnis von Raum und Fläche, die Perspektive, der Rhythmus eines Blattes. Zugleich sind seine Arbeiten, ob in der Fläche oder im Raum, jedoch der ständige Versuch, etwas über sich selbst herauszufinden. Der Frage nachzugehen, „Was ist für mich wichtig? Wo stehe ich?“ Mit höchster Intensität hat er in seinem künstlerischen Schaffen nach Antworten gesucht. Intensität als Haltung. Allgemein gesagt: Je intensiver sich jemand mit etwas auseinandersetzt, umso näher kommt er dem Gegenstand. Konkret für den Künstler heißt das, je leidenschaftlicher er sich um die Formgebung bemüht, umso mehr wird sie sein Eigenes, wird „stimmig“. Albrecht Vogel hat Intensität mit Qualität gleichgesetzt.

 

Vogels Hände haben Alltägliches in Kunst verwandelt, in diesem Fall Austernkisten in eine Skulptur.

   Albrecht Vogel, der am 9. Juni 2016 70 geworden wäre, hat mir vor zehn Jahren verraten: „Inzwischen kann ich geduldiger horchen.“ Vielleicht hat er deshalb die Mühe auf sich genommen, bei der Gmünder Innungsobermeisterin Doris Raymann-Nowak einen Kurs im Silberschmieden zu belegen.  Sie hat den Perfektionisten nochmals Perfektion gelehrt, wie er in einer Vernissagerede zu einer Ausstellung Raymann-Nowaks verraten hat. In Umkehrung des Sprichwortes hat er erkannt, dass für ihn Silber Schweigen ist. „Ihn hat jedes Gewerk interessiert“, kommentiert seine Frau Marie-Jeanne. Bis zum Schluss. Die Hände in den Schoß legen, aufgeben womöglich, das war keine Option im Selbstverständnis des Albrecht Vogel. Ein Blick auf sein Werk zeigt, warum.

Auch als Silberschmied hat er nach Perfektion gestrebt.

      Seine Bildmetaphern changieren immer wieder zwischen Schein und Sein. Irgendwo dazwischen eben. Womit wir bei der Suche nach dem ideellen Potenzial, das die Nadel oder den Zeichenstift vorwärts treibt - oder in den zum ersten Mal in seiner letzten Schau präsentierten plastischen Aneignungen von Welt  bestechende ästhetische Lösungen findet - bei der Ironie als Wesensmerkmal angekommen wären. In der Sprache ist es die Möglichkeit, einen Sachverhalt zu verkleiden, ihn nicht direkt zu sagen – mit seiner situativen Mehrdeutigkeit zu spielen. In der Kunst, in Albrecht Vogels Kunst, erleben wir Ironie als Mehrschichtigkeit, als Durchdringung unterschiedlicher Wahrnehmungsebenen.

    1967 hatte er sich mit der Radierung eines Wichtels, der sich mit einem schweren Sack abmüht, programmatisch auf den Kunst-Weg gemacht. Zur Ausstellung im Kunstverein hatte sich dieser Sack auf einer Radierung in einen „Günstigen Geschenkkarton“ verwandelt, aus dem statt Kinderspielzeug allerlei sperriger Krimskrams purzelt. Albrecht Vogels sarkastisch verschlüsselter Kommentar zum Zustand der Welt.

   Es ist sein skeptischer Blick, der das Innere nach Außen kehrt und im Äußeren historische und menschliche Erfahrung reflektiert. Und diese ausgräbt aus dem widerständigen Metall mit der tief schürfenden Stahlnadel, um sie im Druck zu manifestieren. Als Rätsel, deren Lösung wir in uns selbst suchen müssen. Das ist sein Vermächtnis – und unsere Verpflichtung. Dieser Berserker hat nicht aufgehört zu arbeiten, bis zum Schluss. Seine Skizzenbücher enden mit der Nummer 93. Die letzte Zeichnung darin datiert vom 4. Januar 2016. Da lag er schon – endgültig - im Krankenhaus. Wenige Tage später musste auch dieser großartige Lebens-Künstler seine Mittel in andere Hände übergeben.

                                         John Wolf

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