Großes Drama im steinernen Meer

Foto: Freilichtspiele Schwäbisch Hall / Jürgen Weller Foto: Freilichtspiele Schwäbisch Hall / Jürgen Weller

Mit einer grandiosen Inszenierung der Rockoper „Jesus ChristSuperstar“ verabschiedet sich Christoph Biermeier aus Schwäbisch Hall.

Was für ein Komplott! Die magische Macht der Bilder verbündet sich mit der suggestiven Kraft der Musik zu einem unwiderstehlichen Anschlag auf jegliche Reserviertheit. Zum Abschied von Schwäbisch Hall spielt Christoph Biermeier in seiner Inszenierung des Webber-Musicals „Jesus Christ Superstar“ mit selten erlebter Bravour auf der Klaviatur der Großen Treppe. Auf ihr sorgt eine großartige Truppe fürdas große Gefühl und die große Niedertracht – und der Intendant ab undan für einen entspannenden Treppenwitz.

Nur noch ein Hauch von „Hair“ geistert durch diese Geschichte der letzten Tage im Leben Jesu Christi. Andrew Lloyd Webber hatte die Rockoper, mit der zu Beginn der 1970er-Jahre seinen Durchbrucherzielte, noch im Hippie-Milieu angesiedelt. Über 40 Jahre später führt Biermeier die Blumenkinder zum Opfergang. Als abgerissene Hordeohne Ziel hält sie sich an den Kraftprotz Jesus als einzigen Halt. Wie Ratten immer Deckung suchend vor den Häschern der Staatsmacht.Hervorragend dafür geeignet sind drei riesige Felsen, die Ursina Zürcher ins abschüssige Treppenmeer gelegt hat. Einer hat die Formeines Kreuzes. An ihm wird später Petrus (Oliver Fobe), der Fels,kläglich stranden. Aber das ist nur eine der vielen ambivalenten Irritationen, mit denen die Regie im überbordenden Furor desGeschehens die Fahne der kritischen Vernunft hoch hält. Rechts nebendem Eingang zu St. Michael ragen mit bombastischer Arroganz drei Figurinen in die Höhe, für die Oskar Schlemmer Pate gestanden haben könnte. In dieses Gewand schlüpfen die Hohepriester für ihre Tiraden.Der Popanz hat zwar ein lächerliches Gesicht; doch im fisteligen Gezeter des Annas (Brady Swenson) lauert ebenso die hässliche Fratzeder Gewalt wie im abgrundtiefen Bass des Kaiphas (Hans WernerBramer).

In dessen heiligen Hallen kennt man die Strafe sehr wohl.Und sie fällt furchtbar aus. In quer über die Treppe gespannte Seilegefesselt, foltern die Schergen den kraftvollen Heilsbringer zu einemblutüberströmten Häuflein Elend. Reizt Biermeier nicht nur in dieser Szene das Leiden Christi visuell bis zur Schmerzgrenze aus, treibt einem das Stakkato des seinen Kreuzestod fanatisch fordernden Volkes kalte Schauer über den Rücken. Angesichts der Potentaten, die sich heute ebenfalls auf den von ihnen eingepeitschten Willen des Volkesberufen als Alibi für ihr gnadenloses Handeln, erreicht diese Inszenierung eine sehr gegenwärtige Dimension. Und wenn sich der fette Gnom Herodes mit seinem goldglitzernden Show-Gefolge über den Hilflosen lustig macht, wird die Niedertracht mit Händen greifbar.In seiner Doppelrolle gibt Mathias Schlung auch dem anderen Herrscher, Roms Statthalter Pontius Pilatus, bemerkenswerte Gestalt.Ein hysterisch resignierender Pragmatiker, der sich seine blutigen Hände in Unschuld wäscht.Ohnehin wird auf der bombensicheren Basis der siebenköpfigen Band um Otto Beatus ganz vortrefflich gesungen, gespielt und getanzt.Kreuz und quer als Fixpunkt des Ganzen über die Treppe turnend - bis er sich an deren Rand aufhängt - zeichnet Mischa Mang den Judas alsin seiner Hoffnung enttäuschten, innerlich zerrissenen Fürsprecher der Armen und Rechtlosen. Nur noch im Verrat sieht er die Möglichkeit,Jesus aus den bergenden Armen der Hure Maria Magdalena zu befreien und dessen Mission zu retten. Fast erscheint er als alter ego des Gottessohnes, dem Patrick Stange intensiv entsprechende widersprüchliche Züge verleiht. Zwischen beiden steht die hinreißende Maria Magdalena der Femke Soetenga. „Alles wird gut sein“, singt sieim Versuch zu retten, was nicht zu retten ist, mit betörend beschwörendem Schmelz.Hin und her geht es auf der Treppe, drunter und drüber. Laster und Wucher verwandeln sich nahtlos in schieres Elend, das nach Heilung verlangt. Gewalt und Horror wechseln sich rasant ab mit süßem Trost,Liebe und grenzenloser Verzweiflung; umgesetzt in einer fesselnden Choreografie (Sommer Ulrickson), die alle Möglichkeiten derlegendären 54 Stufen nutzt. Selbst der Effata-Chor des evangelischen Jugendwerks Hall kommt auf dem schwierigen Terrain prima zurecht.Als Jesus auf das Felsenkreuz genagelt sein Leben ausgehaucht hat,herrscht im riesigen Publikum zunächst betroffen-ergriffenesSchweigen, bis sich die Begeisterung in endlosem Beifall Bahn bricht. jow

Info: Nächste Aufführungen ab Fr., 29. Juli, jeweils 20.30 Uhr; Infosund Karten: www.freilichtspiele-hall.de

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