Was kümmert mich die ganze Welt Empfehlung

Die Sopranistin Josefin Feiler glänzt als Stasia. Dahinter Gabor Biedermann /Regina Böhlaug), Josephine Köhler (Phöbus Böhlaug), Paula Skorupa (Fisch), Moritz Kallenberg (Alexander Böhlaug), Klaus Rodewald (Abel Glanz). Die Sopranistin Josefin Feiler glänzt als Stasia. Dahinter Gabor Biedermann /Regina Böhlaug), Josephine Köhler (Phöbus Böhlaug), Paula Skorupa (Fisch), Moritz Kallenberg (Alexander Böhlaug), Klaus Rodewald (Abel Glanz). Fotos: Toni Suter

Schauspiel und Stuttgarter Oper haben mit einem spritzigen Cocktail aus bekannten Operettenliedern in der Regie von Corinna von Rad den Beginn des Sommers gefeiert.

   Eingeladen hatten sie dazu ins „Hotel Savoy“. Der österreichische Schriftsteller Joseph Roth beschreibt dieses Hotel als Mikrokosmos einer chaotischen Nachkriegsgesellschaft.

   Ohnehin ist es kein einfaches Unterfangen, einen Roman des Ende Mai 1939 in Paris gestorbenen Autors in Komödienform zu bringen. Die Schicksale, die sich im real existierenden „Hotel Savoy“ offenbaren, würden für eine Tragikomödie taugen; sinnvoll singbar werden sie dadurch nicht. Außer man betrachtet ihr Treiben konsequent durch die Brille der Ironie. Diesen Blick geben jedoch die Liedtexte bis auf wenige Ausnahmen nicht her. Zum Beispiel, wenn Inga Krischke im Stil von Marlene Dietrich als Milliardär Bloomfield das Chanson „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ interpretiert. Oder vom Bühnenhimmel schweben die Glühbirnensterne herab, sobald unten von ihnen gesungen wird. Die pure Ausweglosigkeit schließlich die Figur des Fisch (Krischke), der Lotterienummern träumt, mit denen dann andere reich werden.

   Gesungen wird übrigens hervorragend. Und das in allen Lagen. Selbst als Josefin Feiler in der Rolle der Stasia die schiefe Ebene der von Ralf Käselau eingerichteten Bühne herunterkullert, trübt kein Quäntchen Anstrengung ihren tragenden Sopran. Gleiches gilt für den Tenor Moritz Kallenberg, der als schnöseliger Reichenspross Alexander Böhlaug, als Militärarzt, der aus einer Klappe im Bühnenboden auftaucht, und als überkandidelter Fabrikant Kanner im Tüll-Tutu seine Vielseitigkeit zeigt. Weil Kapitalisten im Theater optisch häufig als korpulent charakterisiert werden, hat Sabine Blickenstorfer Josephine Köhler für ihre Rolle als Phöbus Böhlaug in einen üppig ausgestopften Anzug gekleidet. Als Revolutionärin Natascha dagegen darf sie zielstrebig über die Bühne tigern.

   Obwohl. Zielstrebig? Im Grunde hat das Schicksal in diesem Hotel ganz unterschiedliche Typen zusammengespült, die einen gemeinsamen Nennen haben: die Suche nach Glück. Das heißt nach Liebe, Geld oder Zuflucht. Heimat findet hier von Joseph Roths Protagonisten keiner - außer der heimatlose Autor selbst. Insofern hat er mit diesem Roman einen biografischen Gegenpol verfasst.

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Marco Massafra (Gabriel Dan), Josephine Köhler (Phöbus Böhlaug) und Gábor Biedermann (Regina Böhlaug)

 

   Wo Hoffnung ein so kurzes Verfallsdatum hat, besäuft man sich am besten in Ensemblestärke gemeinsam - oder stirbt wie der kranke Clown Santschin, den Gabor Biedermann ebenso anrührend verkörpert wie eines der Nacktmädchen. Diese haben für eine Unterkunft ihre Kleider verpfändet. Für das Begräbnis des Clowns reiht sich die „Musicbanda Franui“ in den Trauerzug ein.

   Die Musiker aus Osttirol haben auch die Operettenmelodien für diese Inszenierung überarbeitet. Insofern funktioniert deren musikalische Dimension hervorragend. Was jedoch stiefmütterlich behandelt wird, ist deren dramatische Seite. Schade für so vorzügliche Schauspieler wie Klaus Rodewald als Revolutionär und Kriegsheimkehrer Zwonimir und Souffleur Abel Glanz, und Boris Burgstaller als der heimliche Hotelchef Ignatz und Santschins Esel August. Denn was ihnen die Dramaturgie zu sagen in den Mund legt, hat in seiner Expressivität Gewicht. Wie die einleitende Erzählung des aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Gabriel Dan. „Ich freue mich, wieder ein altes Leben abzustreifen wie so oft in diesen Jahren. Ich sehe den Soldaten, den Mörder, den fast Gemordeten, den Auferstandenen, den Gefesselten, den Wanderer.“ Eine Feststellung, die den gesamten Kosmos der nachfolgenden Geschichte absteckt.

   Mario Massafra tritt als dieser Heimkehrer, nachdem er über weite Strecken des Geschehens nur herumstehen musste, wieder allein auf die Bühne; desillusioniert, mit nur einem gleich zu Beginn des Stücks geäußerten Wunsch: „Meinen Weg nach dem Westen fortzusetzen“.  Am Ende steht er wieder allein da, nachdem das Hotel in einem Akt des Aufruhrs abgebrannt ist. „Zum erstenmal nach fünf Jahren stehe ich wieder an den Toren Europas“, stellt Dan ohne Hoffnung in der Stimme fest. Beklemmend dieser Schluss. 

   Info: Weitere Aufführungen Mo 1.; Di 2., Mi 3., Di 9., Mi 10. und Do 11. Juli, jeweils 19.30 Uhr; www.schauspiel-stuttgart.de 

 

Wolfgang Nußbaumer

(25.06.2024)

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