Was Nina wusste

Familientreffen bieten häufig den Stoff aus dem Alpträume gemacht sind. Im Falle der Dramatisierung des Romans „Was Nina wusste“ des israelischen Autors David Grossman ist es ein 90. Geburtstag.

   Mit seiner Inszenierung einer wesentlich von der dunklen Seite der Macht geprägten israelisch-jugoslawischen Familiengeschichte gelingt dem renommierten Regisseur Dušan David Pařizek am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg fast die Quadratur des Kreises. Weil er der inhärenten Brüchigkeit dramatischen Halt gibt. Und weil ihm ein bravourös spielendes Ensemble zur Verfügung steht.

   Das vom Regisseur auch adaptierte Stück beginnt denkbar harmlos. Ein Gitarrist intoniert „That‘s my way“, plaudert auf Englisch mit dem Publikum im Malersaal bis zum Stichwort „A special night for a special lady“. Letztere ist die Großmutter Vera in der vitalen Bühnengestalt von Ute Hannig. Neben und mit ihr agieren auf gleichem Niveau Eva Maria Nikolaus als ihre Tochter Nina und die erfrischend direkte Sandra Gerling als Enkelin Gili. Wenn Maximilian Scheidt nicht Gitarre spielt, verkörpert er facettenreich Veras zweiten Ehemann Tuvia und dessen Sohn Rafael.

   Unter tatkräftiger Mithilfe der hartnäckig nachfragenden Enkelin fallen nach und nach die Masken und geben frösteln machende Gefühlswelten frei. Denn bis auf Gili trägt hier jeder und jede die schwere Last individueller Verantwortung. Wobei die im Rückblick offen gelegten Verhältnisse diese Last wieder relativieren. Vera wurde unter Tito auf die als Straflager dienende mehr als karge Insel Goli Otok deportiert. Vor die Entscheidung gestellt, ihren Geliebten als stalinistischen Spion zu denunzieren oder ihre Tochter zu verlieren, entschied sie sich gegen das Kind. Dadurch traumatisiert, verlässt Nina später Mann und Kind und sucht Zuflucht in der Arktis, in der Kälte. Diese Kälte trägt Eva Maria Nikolaus lange Zeit in ihrem erstarrten bleichen Gesicht durch den Raum, bis am Ende der Katharsis ein schmales Lächeln darin aufscheint.

   Der Erstarrung im ewigen Eis entspricht das wackelige, viereckige Stangengerüst, das Pařizek als weiteren Spielort installiert hat. Ein instabiler Raum als Symbol für alles, was geschieht und geschehen ist. Später werden die Frauen ruckzuck das Gerüst abbauen und zur Seite schieben, während der Geschichte(n) erzählende Mann mehr oder weniger im Weg herumsteht.

   Schlaglichter werfen in doppeltem Sinne Overhead-Projektoren. Sie beleuchten Protagonisten und doppeln diese zugleich im an die Betonwand geworfenen Bild. Mit diesem Kunstgriff erzielt der auch für die Bühne verantwortliche Regisseur doppelte Wirkung.

   Zwischendurch wird auf die Pauke gehauen, getrommelt und Akkordeon gespielt. Musikalische Farbtupfer in einem farbenreichen Bühnengemälde, in dem Pařizek mit großem Spielwitz ein dunkles Kapitel der Weltgeschichte mit leichter Hand aufschlägt. Zum Schluss machen sie gemeinsam einen Ausflug nach Goli Otok. In heiterer Gelassenheit. Die Vergangenheit lähmt nicht mehr.

Wolfgang Nußbaumer

 

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