Vom Ende der Gier

Michael Pietsch, Nanci Mensah-Offei und Bernardo Arias Portas führen die Marionetten der Konquistadoren. Michael Pietsch, Nanci Mensah-Offei und Bernardo Arias Portas führen die Marionetten der Konquistadoren. Fotos: Armin Smailovic

Das goldene Kalb hat bei Thomas Köck zwei Namenskürzel. Ein „M“ wie jenes einer großen Fast-Food-Kette, und ein „E“ wie ein berühmtes Goldland - Eldorado. Dazu muss man das „M“ nur nach links kippen.

    Wie auf der Bühne der Münchner Kammerspiele in der von szenischen Bildern überbordenden Inszenierung des Stücks „Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“ von Jan-Christoph Gockel geschehen. Machtstreben und Gier gehen Hand in Hand, einst und heute. Und kein Ende in Sicht.

   „Ich lehne es ab, an das Ende der Menschheit zu glauben ... Die Menschheit wird nicht nur Bestand haben, sondern siegen ...“, hat der amerikanische Schriftsteller William Faulkner anno 1950 in einer Rede betont, nachdem sein Schaffen mit dem Nobelpreis gewürdigt worden war. 72 Jahre später bezieht der Dramatiker aus Österreich exakt die Gegenposition. Inzwischen weiß die Welt mehr - und man weiß mehr über die Welt in der wir leben. Wir wissen zwar, dass diese Welt uns nicht mehr mögen wird, wenn wir sie weiter ausbeuten wie bisher. Mit absehbaren und kaum noch umkehrbaren Folgen. Dieses Wissen hat bis dato jedoch maximal halbherzige Reaktionen zur Folge. Es droht ein Pyrrhussieg, um in Faulkners Bild zu bleiben.

   Genau dieses Szenario beschreibt Thomas Köck in seinem Text. In den Händen von Jan-Christoph Gockel wird daraus ein Bilderbogen, der die tödliche Gefahr des Heroins, das sich Junkies in die Adern spritzen, mit der Plünderung und Unterjochung Lateinamerikas durch die spanischen Konquistadoren unter einen dramatischen Hut zu bringen versucht. Für die passende Musik sorgen zupackend Anton Berman am Keyboard und Maria Moling am Schlagzeug.

   Oben auf der Balustrade eines verfallenen Palastes sitzen zu Beginn die Schauspielerinnen und Schauspieler und blicken mehr oder weniger spöttisch gelangweilt ins Publikum. Jetzt werden wir euch da unten zeigen, was Sache ist.

   Die Sache in Gang bringt der blinde Seher Teiresias, der hinter seiner blutigen Augenbinde Weitsicht offenbart. Keine schönen Aussichten. Köcks Teiresias allerdings verweigert sich dem aktiven Handeln. Hätte ohnehin keinen Zweck. Und so schwappt der antike Mythos Ruckzuck hinein in die Gegenwart, in die Hölle auf Erden. Als deren Leidensmann wird der hochgewachsene hyperschlanke Bernardo Arias Porras zur beherrschenden Figur; in ihm nimmt das Drama Gestalt an. Er erinnert an Walter Benjamins „Engel der Geschichte“, von dem er sagt: „Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft.“

   Es beginnt mit kurzen Szenenschnitten; zwei Stimmen aus dem Off sprechen tiefsinnige Sätze - bis der leere Palast nach dem Intro nach und nach wieder bevölkert wird. Nicht nur mit Menschen. Marionetten im Gewand der Konquistadoren und eines glupschäugigen Mönchs als goldgeilem Antreiber übernehmen Hauptrollen - und ein Golf dient als Vehikel, um sie ins gelobte Dschungelland zu bringen.

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   Medienschelte findet ebenfalls statt. Ein schrilles Kamerateam rückt dem Junkie auf die Pelle, um ihn auszuquetschen. Erfolglos. Ohnehin behauptet dieses Stück seiner inneren Logik gemäß dystopisch den Misserfolg. Symbolisiert noch, indem Regisseur Gockel sein Ensemble auf Rollschuhe stellt, die einigen nur so unter den Füßen wegflutschen. Ein paar andere im knallroten Dress kurven dagegen vergnügt um die armen Würstchen herum, die sich kaum auf den Beinen halten können. Passend zu dieser Armseligkeit stapft noch ein riesiger Schlachter in - natürlich - roter Schürze herbei, den es zu Taten drängt.

   Das sind die Kippmomente in dieser Inszenierung von der lärmenden Groteske zum Totentanz. „Der Palast ist leer“. Wie ein Mantra durchzieht diese finale Feststellung das Stück. Man könnte auch sagen, der Planet ist am Ende.

   Nach der Pause nimmt das Stück dramatisch an Fahrt auf, erreicht es die emotionale Dichte, die einen fesselt. Ein auf den Bühnenvorhang projizierte Kindermarionette blickt das Publikum aus seinen großen Augen an, fragend, skeptisch, traurig. Lange, bis sie sich in die Bühne hineinwagt, den bröseligen Ort erkundet, die Treppe hinauf zum Junkie in seiner Kammer geht. Die Fäden führt bravourös ihr Schöpfer Michael Pietsch, der auch die übrigen Puppen gebaut hat, darunter eine ganze Armee von kleiner spanischer Soldateska.

   Machen wir es kurz. Am Ende sind erwartungsgemäß alle tot. Die coole, drahtige bei Bedarf auch noch Trompete spielende Katharina Bach, die intensive und so schöne Nancy Mensah-Offei, die kontrollierte Leonie Schulz, Christian Löber und Michael Pietsch. Ins Jenseits befördert von einem Deus ex machina. Zeit für den Seher, mit einem riesigen weißen Leintuch (oder Totentuch?), das der kleine Junge zuvor über die Bühne gezogen hatte, die gesamte Szenerie einzuhüllen. Gleichzeitig bereitet er damit den ultimativen Ort für das Schlussbild. Alle treten nochmals auf, ganz in weiß. Geister, die aus schwarzen Augenschlitzen ihr Publikum betrachten. Selbst der Marionettenjunge ist „vergeistert“. Ein Menetekel? Nach kurzem Innehalten danken viele „Bravos“ dem Ensemble für einen großartigen, denkwürdigen Theaterabend.

    Info: Die nächste Aufführung ist am Freitag, 18. März, 19 Uhr. Karten: E-Mail: theaterkasse@kammerspiele.de;
www.muenchner-kammerspiele.de; Tel.  089 / 233 966 00.

Wolfgang Nußbaumer

(22.02.2022)

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