Plädoyer für Meinungsfreiheit

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Plädoyer für Meinungsfreiheit
Der in Ägypten geborene Autor kommt vor 25 Jahren nach Deutschland. Philosophie und Literatur haben sein Interesse an dem Land seiner Wahl geweckt. Nun nimmt er, der inzwischen deutscher Staatsbürger ist, mit dem Blick von außen wie von innen dezidiert Stellung zu einer überfälligen Diskussion um Demokratie, Aufklärung und Freiheit.
   Ohne Angst vor Widerspruch noch vor Zuspruch - von welcher Seite auch immer - redet Hamed Abdel-Samad Klartext. Er legt seinen Finger auf Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft. Aus falsch verstandener Liberalität gegenüber anderen Kulturen blickten viele wohlmeinende Mitbürger mit getrübtem Auge auf eine migrantische Parallelwelt aus Patriarchalismus, Gewalt, Unterdrückung von Frauen, Rechtsbruch und Missachtung deutscher Rechtsstaatlichkeit. Angeblich aus Toleranz gegenüber deren Tradition. Die Ursache dieser weit verbreiteten Laissez-faire-Haltung sieht Hamed Abdel-Samad in einer Unsicherheit über die eigene deutsche Identität. Noch immer leide das deutsche Selbstwertgefühl an der Katastrophe des Nationalsozialismus. Jederzeit gewärtig, dass der kritisierte Andere die Moralkeule des Holocaust-Verbrechens hervorholt, augenblicklich einen Maulkorb verpasst und die Auseinandersetzung im Keim erstickt. Dem Angehörigen der deutschen Nation wird im Namen der Moral (und Schuld) das Recht auf eine eigene Meinung wohlfeil abgesprochen. 
 
   Vielen liegt gar nicht an einem Diskurs, konstatiert Abdel-Samad. Sie haben sich behäbig eingerichtet in einer eigenen Welt. Sie wollen andere Meinungen gar nicht hören. Ihre Ohren lassen nur Zustimmung zu. Oder es fehlt die Zivilcourage und der Harmonie zuliebe wird die ehrliche Auseinandersetzung gescheut. Abdel-Samad fordert eine gesellschaftsweite Diskussion über unsere Werte, um die Demokratie zu retten.
 
   Zurückgeworfen auf die Gesinnungsethik des Mainstream wird die unbequeme Verantwortungsethik unterbunden. Das Ungesagte und halb Gedachte gelangt nicht zu einem Dialog auf Augenhöhe. Genau dies aber braucht eine funktionierende Demokratie. Gehört zu werden verlangen zwar große Teile der Gesellschaft,  Zuhören ist die andere Seite der Medaille. Im Gespräch herausfinden, was der andere denkt. Wo drückt diesen der Schuh? Ist die eigene Position noch haltbar oder muss sie revidiert werden? Not tut eine neue Gesprächskultur, in der es ernsthaft um Klärung der Standpunkte geht. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das verteidigt werden muss. Meinungsfreiheit ist die Freiheit, seine Meinung ohne Sanktionen zu äußern. Widerspruch wird herausgefordert. Ein Statement sorgt oft für Aufregung.
 
   Der Autor hat akribisch die Entwicklungslinien vom Römischen Reich deutscher Nation bis heute recherchiert. Kurzweilig flicht er seine historischen Erkenntnisse in seine fundierte Gesamtanalyse des heutigen deutschen Diskussionsstandes ein. Er macht unmissverständlich klar, dass die Gesetze des deutschen Rechtsstaates für alle bindend sein müssen, die in diesem Gemeinwesen leben. Demokratische Errungenschaften, erkämpfte individuelle Freiheiten müssten verteidigt werden gegenüber populistischen Pauschalisierungen. Nur präzise Definitionen in einem Meinungsaustausch würden dem Diskurs weiterhelfen. Bei jedem Disput um die Wahrheit sei wichtig, sich immer im Klaren zu sein, dass auch der andere Recht haben könnte. 
 
   Hamed Abdel-Samad, der seinem Vater als Imam nachfolgen sollte, hat schmerzhaft gelernt, auch seine Kindheits- und Jugendüberzeugungen in Frage zu stellen. Fragen galten in seiner Erziehung als Sakrileg. Sein Studium der Islamwissenschaft und seine kritische Haltung gegenüber unhinterfragten Positionen in der religiösen Tradition haben ihm Hassmails, Fatwa und Polizeischutz eingebracht. 
 
   Ein erhellender Essay über die gegenwärtige Lage der öffentlichen Meinung, der Meinungsfreiheit und der Notwendigkeit, dafür einzutreten. 
 
Hamed Abdel-Samad: Aus Liebe zu Deutschland: Ein Warnruf. dtv, München 2020. 224 Seiten, 20 Euro. E-Book: 14,99 Euro
 
Helga Widmaier
 
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