Alles über Ida

  • geschrieben von  Helga Widmaier
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Alles über Ida
Der Erstling von Katharina Adler ist ein gut erzählter Roman über ihre Urgroßmutter Ida Adler.
   Diese wurde bekannt durch die psychiatrischen Aufzeichnungen von Sigmund Freud unter dem Patientennamen „Dora“. Zweifelsohne findet der Roman mit der gründlichen Recherche ihrer Familiengeschichte seine Beachtung wegen der Bekanntheit der Hauptperson mit Sigmund Freud. 
 
   Die Urenkelin und Autorin hat das Leben von Ida zu einem spannenden Roman verarbeitet, der der Patientin des berühmten Psychiaters ihre eigene Sicht auf die Erinnerung zurückgibt. Selbstbewusst hält Ida ihre Erfahrungen der indoktrinierenden Interpretation des Arztes entgegen. Eine ödipale Verliebtheit in den Vater kann sie nicht erkennen. Ihre zeitweise Aphasie habe mit der Abwesenheit des Herrn Zelenka zu tun. In den sie darüber hinaus auch noch verliebt gewesen sein soll. Völlig ausgeschlossen. Sie beansprucht die Deutungshoheit über ihre Gefühle selbst und bricht als Achtzehnjährige die Therapie in der Wiener Berggasse 19 ab. Es ist das Jahr 1901, als Ida ihr Leben selbst in die Hand nimmt. 
 
   Ida stammt aus einer begüterten Textilunternehmerfamilie. Psychosomatisch empfindsam reagiert ihr Körper auf ihre Gefühle mit Krankheitssymptomen. Diese sind auch verantwortlich, dass Ida nach verschiedenen Arztkonsultationen auf die Couch von Sigmund Freud gelangt. Der Leser nimmt teil an der Familiengeschichte und der Zeitgeschichte mit den Auswirkungen der beiden Weltkriege auf die Wiener Gesellschaft. Der Tochter aus besserem Hause ist nur das Klavierspielen erlaubt. Während ihr zwei Jahre älterer Bruder die Schule besucht und sich der Arbeiterklasse verschreibt. Ida bewundert ihren Bruder und hätte es ihm gern gleich getan. 
 
   Zum Geburtstag schenkt ihr Bruder Otto ihr einen Roman. Ida „sollte also Romane lesen, weil er ihr ernsthaftere Studien nicht zutraute. Dabei hatte sie doch, bevor sie nach Wien gezogen waren, regelmäßig Vorträge zu den unterschiedlichsten Wissenszweigen angehört.“ (S. 284) Der Vater schenkt ihr ein Parfümflakon. Ida weiß, dass seine Geliebte diesen Duft für sie ausgesucht hat. Sie ärgert sich, dass er selbst an ihrem Geburtstag zu seiner Geliebten gefahren ist. Moralische Entrüstung, nichts anderes, schon gar nichts ödipales, lässt Ida für ihre Gefühle gelten. 
 
   Ihre eigene Familie und - als sie verheiratet ist - der reiche Onkel ihres Mannes finanzieren ihren standesgemäßen Unterhalt. Als diese Quellen versiegen, eröffnet Ida einen Bridgesalon und verdient damit ihr eigenes Geld, bis die Nazis das unmöglich machen. 
 
   Die Erhebung der Wiener Arbeiter und deren Kampf um bessere Arbeitsbedingungen steuert eine gesellschaftspolitische Facette bei. Einen schlecht organisierten Generalstreik, konnte Otto Bauer, Idas Bruder, der Anführer der Sozialisten, nicht mehr verhindern. So endete der planlose Umsturzversuch in einer katastrophalen Niederlage. 
 
   Der Roman beginnt mit Idas Odyssee nach Amerika. Ihrer jüdischen Herkunft wegen muss sie Wien verlassen und emigriert über Paris und das besetzte Frankreich nach Casablanca und Chicago. Sie ist eine unbeugsame und unbequeme Frau, die sich bei ihrem Sohn und dessen amerikanischer Frau in einer kleinen Mietwohnung arrangieren muss.  Zum Sohn: „Deine neue Ehefrau hat einen etwas schmalen Geschmack, findest du nicht?“ „Wie kommst du darauf?“ „Eure Möbel. Das ist doch nicht, wie du dich einrichten würdest.“ „Natürlich nicht, Mama. Diantha aber auch nicht. Wir haben die Wohnung möbliert gemietet.“ (Seite 30 f.)  Die Figur der Ida wirkt gerade mit ihrer sehr eigenwilligen Betrachtungsweise nachvollziehbar authentisch. 
 
   Die gebildete amerikanische Gesellschaft hält große Stücke auf den Traumdeuter Sigmund Freud, wie aus Gesprächsthemen deutlich wird. Ida verlässt einmal überstürzt eine Wohltätigkeitsveranstaltung, als deren Gespräche ihr schlagartig die Erinnerung an ihre Sitzungen auf der Couch ins Gedächtnis zurückrufen. 
 
   500 Seiten hält die Autorin den Spannungsbogen durch. Dank dem unkonventionellen Blick Idas und ihrer scharfen Beobachtungsgabe bleibt das Buch bis zum Schluss unterhaltsam. 
 
   Info: Katharina Adler, Ida. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 2018
 
Helga Widmaier
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